#StartupHacks

Wann sind Kundeninterviews sinnvoll?

Nicht jedes Feedback bringt Mehrwert

In diesem Blog habe ich schon mehrfach betont, wie zentral es für Startups ist, dass sie von Anfang an versuchen, auf den Wert ihres Produkts bzw. ihrer Dienstleistung zu fokussieren – und diesen konkret zu beziffern.

Methodischer Champion in wenigen Feldern

Auch die international sehr verbreitete «Lean-Startup»-Methode motiviert die Jungunternehmen dazu, möglichst früh mit einem «MVP» (= minimum viable product) auf den Markt zu gehen, dort das Feedback der Kunden einzuholen und ihr Angebot darauf aufbauend weiterzuentwickeln.

Kundeninterviews spielen bei diesem Ansatz eine zentrale Rolle, und sie kommen für zwei Ziele zum Einsatz:

  1. Das Erfassen der aktuellen Situation (Status quo).
  2. Das Verstehen und Vorhersagen des Kundenverhaltens in einem hypothetischen Szenario (Was wäre, wenn?)

Das Spannende am Lean-Startup-Modell liegt auch darin, dass es aufgrund seiner wachsenden Bekanntheit selbst zum Objekt wissenschaftlicher Untersuchungen wurde, und diese wiederum zu erstaunlich übereinstimmenden Ergebnissen gekommen sind: In bestimmten Situationen funktioniert der «Lean Startup»-Ansatz recht verlässlich (z.B. Retail oder auch Digitalisierung), er scheint aber weniger geeignet für technologisch fortgeschrittene, IP-lastige Ideen (wie sie häufig im Umfeld von Universitäten entstehen).

In anderen Worten: Je innovativer ein Produkt ist, desto schwieriger und riskanter ist es, das Nachfrageverhalten mit Kundeninterviews vorauszusagen.

Stolpersteine bei Interviews bedenken

Eigentlich ist dieses Resultat wenig überraschend. Interviewen ist eine Kunst, und die Realität zeigt, dass Interviews viele Fallstricke bergen. Antworten können durch eine Vielzahl von Gründen verfälscht werden:

1. Unbekannte situative Einflüsse: Die Antworten der Befragten werden von zahlreichen Faktoren beeinflusst, die ihnen selbst oft nicht bewusst sind. Diese unbewussten Einflüsse können das Verhalten und die Antworten erheblich verfälschen. Beispielsweise kann die Stimmung der Befragten, das Wetter oder sogar die Art und Weise, wie eine Frage formuliert ist, ihre Antworten beeinflussen. Eine Person, die an einem regnerischen Tag interviewt wird, könnte weniger optimistisch über ein neues Outdoor-Produkt sprechen als an einem sonnigen Tag.

2. Die Absichts-Verhaltens-Lücke: Selbst wenn Interviews die aktuellen Absichten der Befragten widerspiegeln, zeigt die Praxis, dass das tatsächliche Verhalten oft anders ist. Ein klassisches Beispiel ist die Fitnessbranche: Viele Menschen geben an, regelmässig Sport treiben zu wollen, doch die Mitgliedschaften in Fitnessstudios bleiben oft ungenutzt. Es gibt keine Garantie, dass Menschen immer das tun, was sie beabsichtigen.

3. Komplexe Entscheidungsfaktoren: In realen Kaufsituationen bewerten Kunden Dutzende, manchmal Hunderte von Faktoren, bevor sie eine Entscheidung treffen. Diese Vielzahl an Faktoren lässt sich in Interviews kaum vollständig erfassen. Ein Kunde, der einen neuen Fernseher kaufen möchte, berücksichtigt neben dem Preis und der Bildqualität auch Faktoren wie Markenvertrauen, Rezensionen, persönliche Empfehlungen und sogar die Verfügbarkeit eines bestimmten Modells. Diese Komplexität lässt sich in einer Interview-Situation nur schwer abbilden.

4. Vereinfachungsfehler: Unternehmer möchten wissen, ob bestimmte Produktmerkmale die Kaufentscheidung beeinflussen. Die Realität ist jedoch, dass die Kaufentscheidung viel komplexer ist als die Antworten auf einfache Ja/Nein-Fragen. Ein Beispiel: Ein Hersteller fragt, ob Kunden ein neues Feature in ihrem Smartphone haben möchten. Die meisten sagen ja. Doch in der tatsächlichen Kaufsituation spielen Preis, Verfügbarkeit, Alternativen und persönliche Präferenzen eine viel grössere Rolle als nur dieses eine Feature.

5. Verzerrungen durch Befragte und Fragende: Bei der Durchführung von Interviews lauern zahlreiche konzeptionelle Fehler, darunter:

  • Auswahlverzerrung: Wenn ein neues Produkt getestet wird, werden oft nur bestehende Kunden befragt, die schon eine positive Einstellung zur Marke haben.
  • Repräsentativitätsverzerrung: Eine Fokusgruppe besteht vielleicht nur aus städtischen jungen Erwachsenen, was nicht die gesamte Zielgruppe widerspiegelt.
  • Akzeptanzverzerrung: Befragte neigen dazu, Antworten zu geben, die sie für sozial akzeptabel halten, wie etwa die Zustimmung zu umweltfreundlichen Produkten, auch wenn sie diese in der Praxis nicht kaufen.
  • Bestätigungsverzerrung: Innovatoren suchen oft nach Informationen, die ihre Hypothesen bestätigen. Ein Startup könnte positive Rückmeldungen über ein Produktmerkmal überbewerten und negative ignorieren.
  • Overconfidence Bias: Unternehmer sind oft zu selbstsicher in ihren Einschätzungen.

Zusammengefasst: Es fällt den Nutzer:innen bzw. Kund:innen leicht zu sagen, was sie an einem konkreten Produkt mögen und was nicht (Status quo), aber bei hypothetischen Fragestellungen (was wäre, wenn?) sind berechtigte Zweifel an der Relevanz der Antworten angebracht.

Zuhören, Zuhören, ZUHÖREN!

Was heisst das im Umkehrschluss? Dürfen Tech-Startups auf Kundengespräche verzichten? Selbstverständlich nicht!

Sie sollten aber sehr gezielt vorgehen, mehr zuhören als reden und versuchen, ihre Zielgruppen durch möglichst konkrete Fragestellungen kennenzulernen. Nur so können sie später wirklichen Mehrwert anbieten.

Einige Fragen könnten zum Beispiel lauten:

1. Was ist der schwierigste Teil des Problems, das Sie zu lösen versuchen?

2. Wieviele und welche Ressourcen brauchen Sie zu dessen Bewältigung?

3. Wie oft tritt das Problem auf?

4. Haben Sie ein Budget für die Behebung dieses Problems?

Einen «idealen» ersten Kunden haben Sie dann gefunden, wenn sein Problem dringend ist, es häufig auftritt, und eine Zahlungsfähigkeit für die Beseitigung vorhanden ist – und Sie eine passende Lösung anbieten können.

Die wichtigste Frage

Der frühe und aktive Austausch mit potenziellen Kunden hat noch einen weiteren entscheidenden Vorteil: Er erhöht die Wahrscheinlichkeit, jene Kunden zu finden, denen Sie die vielleicht wichtigste Frage überhaupt stellen können: «Sind Sie bereit, an einem Pilotprojekt teilzunehmen?»